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LES-BAR: Hammelsprünge

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Von Michael Kraske

debattiersalon | Les-Bar | Logo: Katharina Greve © 2013Ach Jungs, offenbar hat die Stern-Reporterin Laura Himmelreich mit ihrer Brüderle-Anekdote einen ganz wunden Punkt getroffen, dass ihr alle so losbrüllt wie auf den, sorry, aber der lag so rum, Schwanz getreten. Die FDP-Männer sprechen von einem Tabu-Bruch, von Journalismus unter der Gürtellinie und beklagen, auf welches Niveau der stern gesunken sei. Die junge Journalistin wird höhnisch gefragt, warum sie denn ein Jahr gebraucht habe, die vorgetragene und Brüderle vorgeworfene Übergriffigkeit verarbeitet und zu einem Text verarbeitet zu haben. Dem stern wird Kampagnen-Journalismus vorgeworfenen. Überall herrscht Geschrei und Empörung, auf Facebook beschimpfen sich Männer gegenseitig, die wechselweise Sexismus beklagen oder fordern, Frauen sollten sich nicht wie Mädchen aufführen. Laura Himmelreich hat eine Geschlechter-Debatte losgetreten, von der man ihr nur wünschen kann, dass sie diese beruflich unbeschadet übersteht. Die Chancen dafür stehen nicht gut. Leider.

Hören wir mal für einen Moment auf, uns bigott und ideologisch verbrämt und beleidigt in die Tasche zu lügen. Dann muss man nüchtern feststellen: Ja, der stern macht die Geschichte erst jetzt, nach einem Jahr, weil Brüderle jetzt (fast) ganz oben ist, Spitzenkandidat der FDP in spe. Die Anekdote hätte ohne Brüderles neuen Karrierefrühling nie stattgefunden. Sie ist gezielt getimt und wird punktgenau gesetzt. Ja und? Ändert das was an der Bewertung der Tresen-Anekdote? Hat das Erleben der Reporterin irgendwas mit dem Kalkül der Chefredaktion zu tun? Hat es nicht. Muss eine Frau sofort aufbegehren oder für immer schweigen? Blödsinn. Darf sie eine persönliche Kränkung taktisch gegen ihren vermeintlichen Kränker einsetzen? Warum denn nicht!

Die Reporterin hätte sich ja vom Tresen fernhalten können, dann hätte sie sich auch die Anspielungen auf ihren Busen ersparen können. Heißt das, wer sich nachts um zwölf mit einem Politiker an den Tresen stellt, muss sich dessen Titten-Prosa gefallen lassen? Wer als Mann ohne dumme Sprüche durchs Leben geht, werfe den ersten Stein, so weit so gut, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass man für seine dummen Sprüche verantwortlich bleibt. Wer einer Frau ungebeten ein Gespräch über ihre Geschlechtsteile einschenkt, darf daran auch gern ein Jahr danach noch erinnert werden. Darf eine Reporterin das überhaupt aufschreiben? Natürlich darf sie das! Was soll daran bitte Privatsache sein. Ist das nicht ein Tabubruch? Das wär ja noch schöner, wenn der übergriffige Sprücheklopfer am Ende noch darüber bestimmen dürfte, über welche Grenzverletzung bitte schön das ritualisierte Schweigemäntelchen überzuziehen sei.

Deswegen geht es bei Dirndl-Gate immer noch nicht um eine Vergewaltigung. Die Nachricht an der Story ist gerade nicht ihre drastische Besonderheit, sondern ihre völlig alltägliche Normalität, so mickrig die kleine Geschichte auch sein mag. Das Thema an der Geschichte, das sich hinter dieser nicht objektiv aufklärbaren Anekdote verbirgt, ist, dass sich Männer mit Macht rausnehmen, und seien es auch die letzten körperlich abgehalfterten Krampen, Frauen dumm anzumachen. Die Betonung liegt hier eben nicht auf anmachen, sondern auf dumm. Dass sie glauben, weil sie in Partei oder Redaktion oder Firma X was zu sagen haben, müsse jede Frau darin einen gesteigerten Sex-Appeal erkennen. Eine grabbelnde Vorstandsvorsitzenden- oder Ministerhand ist nicht weniger schmierig als die eines Bauarbeiters, der das gleiche tut.

Ja, darf man denn nicht mal mehr flirten? Entschuldigung, zum Flirten gehören zwei. Belästigen kann man alleine. Aber sind nicht die Frauen wie Spiegel Online-Reporterin Annett Meiritz zu schwach für dieses harte, harte Politgeschäft, wenn sie es nicht mal aushalten können, wenn sie von verklemmten Piraten-Nerds via Internet zur Prostituierten gemacht werden? Hey, Jungs, mal aufwachen. Charmant bleiben. Sich nicht wie ein Arschloch benehmen. Das reicht doch schon, um mehr geht’s doch gar nicht. Keiner will euch den versauten Witz beim Feierabend-Bier mit den anderen Jungs verbieten.

Lest doch bitte mal das Buch „Hammelsprünge – Sex und Macht in der deutschen Politik“. Nicht weil es ein gutes Buch wäre, sondern weil darin die Normalität des alten Bonner Politiker-Sexismus beschrieben ist. Ursula Kosser war Spiegel-Redakteurin in der Bonner BRD-Steinzeit. Sie beschreibt, wie der Ministerpräsident die junge Journalistin auffordert, nach dem Sommerfest noch schnell mit rauf zu gehen. Sie beschreibt, wie ein Abgeordneter einer Journalistin einen Dildo zukommen lässt, verbunden mit dem Wunsch einer allzeit guten Zusammenarbeit. Sie beschreibt eine als Empfang getarnte Politiker-Orgie: „Politikermänner und deren weibliche Begleitungen planschten nackt im Pool.“ Sie beschreibt, wie Frauen von Politikern und Ressortleitern als Fick-Objekte behandelt wurden. Wie Jobs an die Bedingung Beischlaf geknüpft wurden. Wie unverhohlen die Angebote seitens der Politiker und vorgesetzten Journalisten-Kollegen waren. Sex gegen Infos. Sex gegen Job.

Sie hätte mit dieser Sittengeschichte aus dem Bonn der dicken Hornbrillen genau die jetzt tobende Debatte anstoßen können. Wenn, ja, wenn Ursula Kosser das ganze nicht im Duktus einer Frauen-Zeitschrift aufgeschrieben hätte. Sie lässt für ihre Abrechnung eine Frauen-Runde auftreten, in der sich alle ehemaligen Journalistinnen auf impertinente Weise duzen, um sich schrecklich betroffen ihre Erfahrungen mit den bösen Männern zu erzählen. Diese Lisas und Ankes schaffen es, durch ihr seichtes Geplapper die Ernsthaftigkeit und Relevanz des Themas in Grund und Boden zu faseln, bis selbst der gutwilligste männliche Leser geneigt ist, das ganze als Pseudo-Problem-Kränzchen abzutun. Dass die Lisa sich auf der beschriebenen Pool-Party einer körperlichen Attacke erwehren muss, erscheint dann nur noch als seichtes Anekdötchen, das auch in ein Magazin namens Bella oder Für Sie passen würde.

Zu dieser Frauenrunden-Prosa werden dann noch völlig unmotiviert die schriftlichen Statements von Zeitzeugen wie Norbert Blüm, Rita Süssmuth oder Franz Müntefering eingebaut. Dadurch wird das Buch zum bunten Sammelsurium, dem Komposition und Dramaturgie fehlt, doch das nimmt dem Thema nicht seine Relevanz. Bei Dirndl-Gate geht es um die Frage, ob sich das neue, moderne Berlin noch genauso verstockt und reaktionär aufführt wie damals das biedere Bonn. Ob, wer eine auch nur vermeintliche Machtposition innehat, folgenlos das dreiste Großmaul geben darf. Ob die Jungs mit dem dicken Ego und dem mickrigen Rest die Spielregeln des guten Geschmacks allein bestimmen dürfen. Wer bestimmen darf, wie viel Belästigung denn bitte auszuhalten sei. Mit Ball flach halten und Kirche im Dorf lassen und die gehören doch mal wieder so richtig ist es nicht getan. Also stellt euch nicht an wie die letzten Mädchen, Jungs, seid nicht solche Weicheier. Wir reden doch sonst auch so gerne Tacheles.

Ursula Kosser, Hammelsprünge, Sex und Macht in der deutschen Politik, DuMont Buchverlag Köln, 2012, 18,99 Euro

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